Tim und Struppi in der Urfassung
Inhalt
Tim und Struppi in der Urfassung: Die Originalfassungen bei Carlsen (1992–1996)
Die Comicreihe „Die Abenteuer von Tim und Struppi“ von Hergé begeistert seit Jahrzehnten Leser weltweit. Zwischen 1992 und 1996 veröffentlichte der Carlsen-Verlag eine besondere Edition dieser Klassiker: die Urfassungen der frühen Tim-und-Struppi-Comics. Diese Hardcover-Neuausgaben präsentieren die Geschichten in ihrer ursprünglichen Erstfassung, also so, wie sie ursprünglich in den 1930er- und 1940er-Jahren erschienen – schwarzweiß statt nachträglich überarbeitet oder koloriert. Damit unterscheiden sie sich deutlich von den bekannteren, später überarbeiteten und kolorierten Alben. Im Folgenden beleuchten wir die Besonderheit dieser Reihe, die Gründe für frühere Änderungen an Hergés Comics, die Gestaltung und das Format der Carlsen-Edition sowie ihre historische und sammlerische Bedeutung.
Originale Schwarzweiß-Abenteuer vs. überarbeitete Ausgaben
Der Kern dieser Carlsen-Reihe liegt in der Veröffentlichung der ursprünglichen Originalfassungen der frühen Abenteuer. Hergé hatte viele frühe Geschichten Jahrzehnte zuvor nachträglich angepasst – er zeichnete sie zum Teil um, montierte Seiten neu und kolorierte sie, um sie einem neuen Standard anzupassen. In der Carlsen-Edition dagegen wurden genau diese Geschichten erstmals wieder in ihrer Urfassung gezeigt. Konkret handelt es sich um die Bände 0 bis 8, also die ersten neun Abenteuer der Serie, beginnend mit Tim im Lande der Sowjets (Band 0) und endend mit Die Krabbe mit den goldenen Scheren (Band 8). Diese Ausgaben zeigen Tim und Struppi so, wie Hergé sie ursprünglich konzipierte:
- Band 0: Tim im Lande der Sowjets – Das allererste Tim-und-Struppi-Abenteuer (1929/30), ursprünglich in einer Zeitung in Schwarzweiß erschienen und nie koloriert.
- Band 1: Tim im Kongo – Tims zweites Abenteuer (1930/31), erstmals 1931 als s/w-Album veröffentlicht; 1946 von Hergé vollständig neu gezeichnet und in Farbe herausgebracht (1975 nochmals leicht überarbeitet).
- Band 2: Tim in Amerika – (1931/32) ursprüngliche Fassung in Schwarzweiß, später farbig angepasst.
- Band 3: Die Zigarren des Pharaos – (1932–1934) zuerst als s/w-Serie, in den 1950ern koloriert und ummontiert.
- Band 4: Der Blaue Lotos – (1934/35) ursprünglich s/w, später farbig.
- Band 5: Der Arumbaya-Fetisch (auch Das zerbrochene Ohr) – (1935/37) s/w-Originallayout, später farbiges Album.
- Band 6: Die Schwarze Insel – (1937) Original in Schwarzweiß; Hergé schuf hier sogar mehrere Versionen (eine kolorierte 1943 und eine überarbeitete Neuzeichnung 1966 für England).
- Band 7: König Ottokars Zepter – (1938/39) zunächst s/w veröffentlicht, nach dem Krieg farbig neu herausgegeben.
- Band 8: Die Krabbe mit den goldenen Scheren – (1940/41) zuerst als s/w-Zeitungsstrip publiziert, 1944 folgte ein farbiges Album.
Man erkennt bereits: Alle diese frühen Abenteuer erschienen ursprünglich schwarzweiß. Spätere Ausgaben, die den meisten Lesern vertraut sind, wurden koloriert und teils um Inhalte bereinigt oder angepasst, um z.B. auf 62 Seiten im Farb-Albumformat zu passen – dem damals neuen Industriestandard. Die Carlsen-Urversionsreihe hebt sich dadurch ab, dass sie die unverfälschten Originale dieser Geschichten bietet, ohne die nachträglichen Änderungen. Leser können dadurch Unterschiede entdecken, etwa fehlende oder abweichende Szenen, ursprüngliche Zeichenstile und historische Kontexte, die in den gängigen Alben so nicht mehr enthalten sind.
Technische und politische Gründe für Hergés Überarbeitungen
Warum wurden die Tim-und-Struppi-Comics überhaupt überarbeitet? Die Gründe dafür waren oft technischer Natur, teils aber auch politisch bzw. inhaltlich motiviert. In den 1930er Jahren erschienen Hergés Comics zunächst in Zeitungen und Magazinen, wo Farbdruck entweder technisch nicht möglich oder zu teuer war. Daher waren die ersten Geschichten zwangsläufig schwarzweiß. Erst später, als der Erfolg wuchs und der Verlag Casterman ab 1942 ein einheitliches farbiges Albumformat etablierte, passte Hergé seine frühen Bände an: Er kolorierte sie nachträglich und montierte die ursprünglich oft unterschiedlich langen Fortsetzungsgeschichten auf das einheitliche Album-Layout um. Dabei mussten teilweise Panel-Größen geändert oder ganze Szenen gekürzt werden, um ins vorgegebene Seitenraster zu passen. Ein Beispiel ist Tim in Amerika, das für die Farbausgabe eingekürzt wurde, oder Der Arumbaya-Fetisch, wo Seiten neu angeordnet wurden.
Gestaltung und Format der Carlsen-Faksimile-Edition
Das Cover der Carlsen-Urfassung von „Die Krabbe mit den goldenen Scheren“ (Band 8) im typischen Design der Reihe. Die Carlsen-Neuausgaben erschienen unter dem Label „Carlsen Studio“ und sind hochwertig aufgemachte Hardcover-Alben im großzügigen Albumformat (22,5 × 30,0 cm). Dieses Format entspricht dem klassisch-frankobelgischen Comic-Album und lässt die detailreichen Zeichnungen Hergés voll zur Geltung kommen. Auffällig ist das einheitliche Reihen-Design: Die Cover sind überwiegend weiß gehalten mit einem farbigen Leinentrücken (z.B. roter Buchrücken) und zeigen den originalen Titelschriftzug sowie das ursprüngliche Titelbild oder eine Schlüsselszene der jeweiligen Geschichte. Dabei wird teils auf Farbe verzichtet – einige dieser Urfassungen sind komplett schwarzweiß (einfarbig), während andere Ausgaben teilweise vierfarbig sind. Diese Angabe „teils einfarbig, teils vierfarbig“ bezieht sich darauf, dass einige Geschichten in ihrer Erstveröffentlichung nur Schwarzweißzeichnungen enthielten (z.B. Sowjets, Kongo, Amerika), während wenige spätere bereits einzelne Farb-Elemente oder farbige Titelbilder aufwiesen. Der Band Die Krabbe mit den goldenen Scheren etwa enthält im Carlsen-Faksimile die schwarzweiße Urfassung von 1941, inklusive des ursprünglichen Titelbildes (das hier auf dem Cover zu sehen ist). Jeder Band dieser Reihe wurde liebevoll als Faksimile-Ausgabe gestaltet – das bedeutet, dass Layout, Zeichnungen und sogar die Seitengestaltung möglichst originalgetreu dem historischen Original nachempfunden sind. So umfassen die Bände oft mehr Seiten als die regulären 62-Seiten-Alben, da die Originalversionen meist länger waren (z.B. 100 Seiten bei Die Krabbe mit den goldenen Scheren in der s/w-Fassung). In einigen Fällen wurden redaktionelle Seiten ergänzt, welche die Entstehungszeit erläutern, um dem Leser den Kontext zu vermitteln. Insgesamt vermittelt die Gestaltung den Eindruck, ein Stück Comicgeschichte in Händen zu halten – unterstützt vom nostalgischen Design und hochwertigen Druck.
Historische Bedeutung und Sammlerwert der Urfassungen
Aus heutiger Sicht haben diese Carlsen-Urfassungsbände einen hohen historischen und sammlerischen Stellenwert. Zum einen bieten sie Comic-Liebhabern und Tintinologen die Chance, Hergés Werk in seiner ursprünglichen Form zu studieren – mit allen Unterschieden, die über die Jahre verloren gingen. Sie fungieren damit auch als zeitgeschichtliches Dokument: Man erkennt den Einfluss der 1930er-Jahre in Sprache und Zeichnung, ungeschönt durch spätere Retuschen. Zum anderen sind die 1992–1996 erschienenen Alben selbst zu raren Sammlerstücken geworden. Die Auflage war vergleichsweise gering und wurde seitdem nicht erneut in dieser Form aufgelegt. Bereits kurz nach der Veröffentlichung wurden die Bände unter Fans begehrt, und heute werden komplette Sets oder Einzelbände der Reihe zu hohen Preisen gehandelt.
Fazit:
Die Carlsen-Edition „Tim und Struppi – Die Abenteuer von Tim und Struppi (Urfassung)“ aus den 90er-Jahren ist eine einzigartige Hommage an Hergés Originalarbeit. Sie zeigt die weltbekannten Abenteuer von Tim und Struppi in ihrer ursprünglichen Form – ein spannender Einblick für Fans, ein wichtiges Stück Comicgeschichte für Historiker und ein Schatz für Sammler. Durch die aufwendige Faksimile-Gestaltung im großen Albumformat, teils in Schwarzweiß, bleibt das Leseerlebnis authentisch. Diese Originalausgaben erinnern daran, wie sehr sich Comics im Laufe der Zeit technisch wie inhaltlich wandeln können, und ehren das Vermächtnis von Hergés Tim und Struppi in all seiner historischen Tiefe.